MAX DAX IM INTERVIEW MIT DER FOTOGRAFIN »NIETZE«
BERLIN, 27.08.2024
»Nietze«, du hast eine Wahlverwandtschaft, du bewegst dich in Kreisen, deren Präsenz du mit deinen Fotos sicherstellst. Im Rückblick wird man sagen: Es gibt oder gab diese Menschen, weil es deine Fotos gibt. Damit knüpfst du an Heinrich Zille und die von ihm populär gemachte Berliner Tradition der sozialkritischen Kiezmalerei. Zille malte die Outcasts, Säufer, Huren und Eckensteher, also all jene, die keine Lobby haben. Das ist der Dokumentarismus einer ausgegrenzten Klasse. Siehst du dich als Fotografin in dieser Tradition?
Zur professionellen Fotografin bin ich letztendlich durch Ben de Biel gekommen, der ja ganz ähnlich arbeitet, also ihm nahegehende gesellschaftliche Phänomene, Menschen und Orte ganz akribisch und über längere Zeiträume durchfotografiert. Tatsächlich habe ich schon immer gerne fotografiert, habe, seitdem ich klein bin, eigentlich immer eine Kamera in der Hand gehabt, aber es brauchte den Anstoß 2019 von Ben, dass ich diesen Schritt in die Professionalität gehe. Und weil ich mich schon immer für die Menschen hinter den Kulissen des Sichtbaren interessiert habe, für die sonst vielleicht nicht unbedingt Sichtbaren, fügt sich in meiner Arbeit eins zum anderen. Ich selbst bin ja auch eine Person, die im Hintergrund agiert und diesen Zustand des Nicht-Gesehen-Werdens gut kennt. Ich versuche also, die Unsichtbaren wertzuschätzen mit meiner Kamera. Ich möchte die Menschen zeigen, und ich halte mit der Kamera auch gerne drauf, wo andere weggucken. Das ist mir wichtig, denn das sind alles Menschen, sie alle sind Teil unseres Systems und unserer Gesellschaft. Mich interessieren zudem die Geschichten der Leute, die ich fotografiere.
Das ist ja fast schon ein journalistischer Ansatz: Du fotografierst nicht nur, sondern du redest auch mit ihnen?
Mal mehr, mal weniger. 2023 war ich in New York, da habe ich eigentlich überwiegend fotografiert, da meine Reise auch dazu diente meine Sprachbarriere zu überwinden – erfolgreich. Ich habe da die Leute, die mich interessierten, kurz angesprochen und Fotos von ihnen gemacht. Ich musste aufgrund des vielen Gewusels auch einen meiner Sinne ausschalten und hatte die ganze Zeit Musik auf den Ohren. Aber jenseits der Sprachbarrieren interessiere ich mich schon sehr für mein Gegenüber.